Montag, 4. April 2011

About Schmidt (2002)


About Schmidt“ ist wohl einer der außergewöhnlichsten Filme, in denen Jack Nicholsonjemals eine Hauptrolle gespielt hat. Er ist kaum wiederzuerkennen als schrulliger, in Selbstmitleid zerfließender, innerlich wütender Pensionist.

Warren R. Schmidt arbeitete bis zu seiner Pensionierung als stellvertretender Vizedirektor in einer Versicherungsgesellschaft. Er wird dort zwar geschätzt und mit einer großen Feier verabschiedet, jedoch bekommt man ziemlich schnell mit, dass die ehemaligen Arbeitskollegen mit bloßen Floskeln und schönen Worten um sich schmeißen. Keiner von ihnen meint eigentlich das, was er sagt, doch genau das wird wunderschön und eloquent ausgedrückt, dass man den Eindruck hat, es herrsche Wertschätzung und Harmonie in jener Firma.
Warrens Nachfolger bittet ihn sehr höflich vor versammelter Mannschaft darum, dass er ihn doch noch einmal im Büro aufsuchen sollte, da er ohne sein großes Wissen und seine jahrzehntelange Erfahrung sich wohl nicht gleich zurecht finden würde. Das schmeichelt Schmidt und er geht schon am folgenden Tag in seine alte Firma, wohl mit dem stolzen Gefühl gebraucht zu werden.
Doch sein Nachfolger wimmelt ihn eloquent ab. Als Schmidt die Straße hinunter geht sieht er in der abgesperrten Einfahrt seiner ehemaligen Firma, dass seine Akten in Pappkartons für die Müllabfuhr bereit gestellt wurden. Es kommt ihm wohl so vor, als sei sein Engagement, sein ganzes Leben, dass wohl zum Großteil durch seine Arbeit in der Versicherung ausgefüllt war, nicht einen Pfifferling Bedeutung gehabt hätte.
Zumindest hat er seit über vierzig Jahren seine Frau Helen an seiner Seite, die sich schon sehr darauf freut endlich mehr Zeit gemeinsam mit ihm verbringen zu können, und deren größter Traum es ist, mit Warren gemeinsam im Wohnwagen durch Amerika zu reisen. Warren selber macht gute Mine zum bösen Spiel, denn eigentlich ist er gar nicht begeistert, dass sie sich gemeinsam ein sündhaft teures und großes Wohnmobilzugelegt haben.
Überhaupt: Warren kann mit seiner Ehefrau nicht mehr viel anfangen. Sie sind sich in den Jahren fremd geworden. Warren findet so ziemlich alles an Helen lästig. Ihren Geruch, ihr Schnarchen, ihre kleinen Ticks, wie zum Beispiel, dass sie es liebt neue Restaurants auszuprobieren …
All diese Dinge erfährt der Zuseher durch Warrens Stimme, die einen Brief an Ndugu, einem Waisenkindaus Tansania
, vorliest. Warren entschloss sich aus einer Laune heraus einem Kind in Afrikaeine monatliche Spende von 20 Dollar zukommen zu lassen, und die Vermittlungsagentur bittet die Spender möglichst einen Brief zum Scheck dazuzulegen, damit die Kinder ein wenig über die Person wissen, die ihnen ermöglichst sauberes Wasser zu trinken, ärztlich behandelt und in die Schule geschickt zu werden. Also schreibt Warren einen Brief an den kleinen Ndugu.
Warren ist generell ein ruhiger, ausgeglichener und höflicher Mann, der sein Innenleben für sich behält. Fast möchte man glauben, dass Mr. Schmidt generell ein wunderbarer Mensch ist. Aber wenn er Ndugu schreibt, offenbart er ihm ein wenig mehr, als den Menschen, die um ihn herum leben. Dennoch kann Warren auch zu Ndugu nicht ganz offen und ehrlich sein.
Warren scheint ein großes Problem damit zu haben, ehrlich zu seinen Mitmenschen, aber vor allem zu sich selber zu sein. Er erlebt und redet andere Dinge, als er zugibt, und irgendwie glaubt man, dass Warren sich sein Leben schön reden möchte. Oder er möchte selber gar nicht genau wissen, welche Abgründe sich in ihm auftun würden, würde er tiefer in sich hineinsehen.
Eines Tages nachdem Warren vom Postamt zurück kommt wo er einen Brief an sein Patenkind aufgegeben hat, findet er seine Frau Helen regungslos am Boden liegen. Warren ruft verzweifelt und weinend die Rettung an, aber es ist zu spät. Helen hatte ein Blutgerinnsel im Gehirn. Warren organisiert die Beerdigung zu der alle Freunde und Bekannte kommen und ebenso Tochter Jeannie, die in Denverlebt. Ihr Verlobter, Randall Hertzel (gespielt von einem hervorragenden Dermot Mulroney), begleitet sie und versucht mit seiner liebevollen, fast naiven Art, sowohl Vater als auch Tochter Beistand zu leisten. Doch Warren mag Jeannies Verlobten ganz und gar nicht, da er fest davon überzeugt ist, dass Randall nicht Jeannies Format hat. Jeannie ist in Warrens Vorstellung eine sprachenbegabte Universitätsabsolventin, mit einem guten Job, obwohl er weiß, dass sie in einem Kopierladen arbeitet. Aber Warren scheint dies nicht wahrhaben zu wollen.
Jeannie wirft ihm vor, dass er ihre Mutter nicht genug gewürdigt hat, weil er ihr nur einen der billigsten Särge gekauft hat, und dass Helen auch ihre Aktien verkaufen musste, damit sie einen Großteil des Traumwohnmobils selber zahlen konnte. Und das nach über vierzieg Jahren Ehe, in der Helen Warren stets zu Diensten war und ihn von vorne bis hinten verwöhnt hatte. Warren versucht sich zu verteidigen und ist erbost darüber, dass Jeannie so über ihn denkt, aber sie wechselt das Thema und beide gehen nicht weiter auf ihre Unstimmigkeiten ein.
Als Jeannie und Randall wieder zurück nach Denver fahren entdeckt Warren zufällig ein paar alte Liebesbriefeseines besten Freundes Ray an seine Frau. Warren ist außer sich vor Wut und stellt Ray zur Rede, der sich entschuldigt und sagt, dass es schon lange her sei, als er und Helen eine Affäre hatten. Warren kann die Entschuldigung nicht akzeptieren und fährt rasend mit dem Wohnmobil durch die Gegend. Natürlich schreibt er davon nichts in seinen Briefen an Ndugu, sondern lediglich, dass seine Tochter ihn früher in Denver sehen wolle und er beschlossen habe eine kleine Reise zu machen, damit er all die Orte wieder sieht, die in seiner Erinnerung schon langsam verblassen.
Irgendwo auf der Reise Richtung Denver bleibt Warren über Nacht auf einem Campingplatz und lernt dort ein fröhliches, aufgeschlossenes Ehepaar kennen, die ihn zu sich auf ein Abendessen und einen netten Plausch einladen. Als sein Gastgeber los geht um noch ein paar Dosen Bier zu holen, bleibt Warren mit der Gastgeberin alleine zurück und missversteht ihre Höflichkeit. Vollkommen unvermittelt drückt Warren der Frau einen Kuss
auf die Lippen, während sie sich sofort wehrt und ihn aus dem Campingwagen schmeißt.
Peinlich berührt und aufgelöst verschwindet Warren in seinem Wohnmobil und reist sofort ab. Aber dieses Erlebnis hilft Warren seiner Frau ihre Affäre mit Ray zu vergeben, und er fragt sich, ob es denn auch Helen mit ihm so ging, wie es ihm mit ihr ging: War er der Mann, den sie sich erträumt hatte? Oder war sie nur zu höflich, dass sie ihm ihre Enttäuschung über ihn vorenthielt?
Mit neuem Mut und Elan durch die späte Aussöhnung mit Helen beschließt Warren nun das zu tun, was er für richtig und wichtig hält: Jeannies Hochzeit zu verhindern.
Doch in Denver angekommen wird er herzlich von Randalls Mutter (gespielt von einer sehr überzeugenden Kathy Bates) willkommen geheißen. Allerdings findet sich Warren in allem bestätigt, dass er vorfindet: Ein heruntergekommenes, altes Haus, einen schlampig geführten Haushalt, Menschen die auf feines Getue keinen Wert legen, sondern frei heraus sagen, was ihnen auf dem Herzen liegt, die am Tisch schmatzen und lachen und streiten und gute Leistung ganz anders bewerten als die meisten Menschen. An den Wänden hängen überall Trostpreise von Wettbewerben an denen Randall teilgenommen hat, und ein Zertifikat über einen zweiwöchigen Elektriker-Kurs an einer Universität.
Warren ist sich nun sicher: Dieser Mann und seine Familie sind kein Umgang für seine Tochter und absolut niveaulos. Doch als er Jeannie bittet die Hochzeit
zu verschieben lässt sie Warren kalt abblitzen und erklärt ihm, dass er herzlich eingeladen ist, wenn er mit ihnen mitfeiern möchte. Wenn nicht, dann sollte er der Hochzeit fern bleiben.
Also akzeptiert der höfliche Warren die Entscheidung seiner Tochter, auch wenn er sich später deswegen als Versager fühlt, weil er nicht mutig genug war seinen Willen durchzusetzen, obwohl er davon überzeugt ist, dass seine Tochter ins Unglück läuft. Er hält eine nette Rede in der er allen Anwesenden der Familie Komplimente macht, ganz ähnlich wie seine ehemaligen Kollegen bei seiner Abschiedsfeier, und läuft danach verschwitzt und angespannt auf die Toilette.
Danach fährt Warren Schmidt wieder nach Hause und fragt sich, was er sein Leben überhaupt für einen Sinn hat, da es niemanden auf der Welt gäbe, dem er etwas bedeutet, oder dessen Leben er bereichert. Er öffnet seine Post, die sich im Laufe der Tage angesammelt hat und darunter ist ein Brief aus Tansania. Eine Klosterschwester schreibt, dass Ndugu alle Briefe von Warren bekommen hat und sich sehr über sie gefreut und dass Ndugu sein Glück sehr am Herzen liege. Ndugu kann noch nicht lesen und schreiben, aber er habe ihm ein Bild gemalt und hofft, dass es Warren gefällt. Auf dem Bild sind zwei Figuren gemalt, die Ndugu und Mr. Schmidt darstellen sollen. Die Figuren halten sich die Hände während die Sonne scheint und beide ein Lächeln im Gesicht haben. Daraufhin fängt Schmidt an zu weinen.
Doch was Reflektiert dieser Film im Einzelnen? Zum Ersten geht es wohl um die um sich greifende, oder vielmehr zur Normalität gewordene Oberflächlichkeit von Worten. Menschen sagen das, was sie eigentlich gar nicht meinen, aus Furcht davor unhöflich zu erscheinen, auch wenn sie es eigentlich sind. Und wenn man nicht unhöflich sein möchte und trotzdem ehrlich, müsste man sich dann eigentlich essentiell innerlich verändern? Seine Einstellung seinen Mitmenschen gegenüber überdenken? Ist es nicht oft so, dass wir andere Leute nach unseren eigenen Maßstäben beurteilen und nicht nach den ihrigen? Warum kommt Warren damit nicht klar, dass seine Tochter in eine Familie einheiratet, die zwar nicht viel Wert auf Benehmen legt, aber dafür herzlich ist und eben sagt, was sie fühlt und denkt – auch, wenn es einen anderen verletzen könnte? Manchmal ist es doch angenehm einfach reden zu können, wie einem der „Schnabel gewachsen ist“, und seinen Emotionen freien Lauf zu lassen, um sich all den Ärger oder ebenso überschwängliche Freude und Motivation von der Seele zu reden. Gefühle sind eben echt und authentisch, nicht zurecht gezimmerte Phrasen, von denen man glaubt anderen sie in ihrem Wortlaut zumuten zu können.
Und zum Zweiten geht es im Film auch darum, unsere Weltanschauung zu hinterfragen. Ist das, was wir als erfolgreich, gut und sinnerfüllt betrachten auch automatisch richtig und wichtig für jeden Menschen? Und wenn nicht, bedeutet das, dass unser Leben deswegen weniger wertvoll ist?
Ist das Leben eines Jungen wie Ndugu, der auf Hilfe angewiesen ist, dessen eigentliches Ziel mehr „Überleben“ als „Leben“ ist, weniger erfolgreich und damit weniger glücklich? Muss das Leben von Jeannie weniger erfolgsgekrönt und zufrieden verlaufen, weil sie zwar liebevollen Ehemann hat auf den sie sich immer verlassen können wird, aber einen inadäquaten Job hat?
Und eine dritte Frage taucht auch noch auf: Können wir erst anfangen Dinge zu schätzen, wenn wir sie verlieren? Müssen wir immer darauf warten, bis uns etwas weggenommen wird, bis wir den wahren Wert erkennen?
Warum kann Warren mit seiner Frau Helen erst Frieden schließen, als sie bereits tot ist? Hätte er sich nicht schon früher mehr auf ihre positiven Seiten konzentrieren können, ohne sich auf ihre Unzulänglichkeiten zu stürzen, welche den Wert seiner Frau schmälern? Oder hätte er diese Unzulänglichkeit nicht gerade als Besonderheiten sehen können, die seine Frau so einzigartig machten und zu etwas Besonderem?
Diese Fragen sind – wie ich finde – ganz alltägliche, mit denen sich wohl jeder Mensch im Laufe seines Lebens herumschlägt und deren Antwort wir nur finden können, wenn wir immer wieder kurz inne halten und darüber nachsinnen, resümieren.
Zum Beispiel beim Ansehen eines Films wie „About Schmidt“, der uns in einer amüsanten, interessanten Geschichte wieder darauf aufmerksam macht uns selbst zu hinterfragen.

Story: ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥
Action: - (aus der Bewertung ausgeschlossen)
Humor: ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥
Tiefgang: ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥
Darstellung: ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥
Regie: ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥

Bewertung: 8,4

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